Ein Earthship in Ungarn: Inspiration für ein Leben innerhalb planetarer Grenzen

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Mann steht neben Piaggo Ape, die mit Solarzellen ausgestattet ist
2022-10-14

Im Rahmen des EU 1,5° Lebensstile Projekts arbeiten wir mit verschiedenen Teilhabenden zusammen, um mehr über 1,5° Lebensstile und über Faktoren, die diese fördern und behindern, zu lernen. Als Teil dieses Lernprozesses befragen wir Bürger*innen, die Pioniere eines 1,5° Lebensstils sind, in verschiedenen europäischen Ländern. Ihre inspirierenden Geschichten teilen wir in unserem Blog. Den Anfang macht die Geschichte des ungarischen Paares Kéry und Dőry.

Der Physiker Dr. István Dőry und seine Frau, die Lehrerin Magdolna Kéry, sind von der ungarischen Hauptstadt in ein kleines Dorf namens Egyházasfalu nahe der Westgrenze des Landes gezogen und leben seit 17 Jahren in einem renovierten, im Grunde autonomen Lehmhaus. Ihrer Meinung nach könnte das Haus als Weltraumstation dienen (oder – um auf dem Boden zu bleiben – als Erdschiff [engl. „Earthship“]), da es ein lebensfähiges, autarkes System ist, das auch ohne externe Energiequelle auskommt.

Solange sie sich erinnern können, hatten beide einen starken Drang, ein nachhaltiges Leben zu führen: ein Leben, das den Ökosystemen vorzugsweise weniger wegnimmt, als es ihnen zurückgibt, eines, das weniger Schaden anrichtet, als die Ökosysteme in der Lage sind, zu reparieren.

Sie wollen nachhaltig leben? Halten Sie sich von diesen vier Dingen fern

Nach Ansicht von Dr. Dőry gibt es vier Hauptprinzipien (d. h. Strukturen, Institutionen usw.), die den derzeitigen städtischen Lebensstil nicht nachhaltig machen:

  1. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen: Sie gehen schneller zur Neige als sie nachwachsen. Das Öl geht fünf Millionen Mal schneller zur Neige als seine natürliche „Produktionszeit“.
  2. Die Abhängigkeit von Infrastrukturen (Pipelines, Abwassersystem, Strom, Straßen, Tankstellen usw.): Dies sind die Strukturen, die uns überhaupt erst dazu bringen, fossile Brennstoffe zu verbrauchen.
  3. Die Abhängigkeit von den Banken: Mit ihrer Kreditvergabe heizen die Banken die irrationale Nachfrage und die Überbeanspruchung der Ressourcen des Planeten an. Ihre Geldschöpfungsmechanismen erhalten und verschlimmern den (unhaltbaren) Zustand der ganzen Welt.
  4. Die Bevölkerungsdichte: In den Städten sind die Gehälter höher und die Infrastruktur besser, so dass die Menschen dort leben wollen. Städte haben jedoch eine Menge Nachteile – sie sind im Durchschnitt 6 Grad wärmer als Dörfer, um nur einen zu nennen…

Mit diesen Grundsätzen im Hinterkopf trafen die Dőrys eine umsichtige und bewusste Entscheidung: An einen Ort umzuziehen, an dem sie ihren Traum von einem nachhaltigen Leben endlich verwirklichen konnten. Sie suchten nach einem Ort auf dem Lande, wo:

  • es keine Hauptverkehrsstraßen gibt, also keine Luftverschmutzung durch den Verkehr, wo man aber seine Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern oder sogar einem von der Sonne angetriebenen Fahrzeug, der „Solarschnecke“, aufrechterhalten kann;
  • sie das Haus mit hochwertigem trockenem Holz aus Ihrem eigenen Energiewald heizen können, das (im Sommer) mehr CO2 bindet, als der Holzofen (im Winter) ausstößt;
  • sie Sonnenkollektoren nutzen und mit dem Stromversorger zusammenarbeiten können, um Ihren Überschuss abzunehmen;
  • es einen Garten für den Anbau von Lebensmitteln, die Haltung von Tieren und auch Platz für die Aufbereitung von Abwässern (mit einer Wurzelraumkläranlage) gibt;
  • sie eine Komposttoilette benutzen können, die sie ebenfalls von der Infrastruktur entbindet und Dünger für den Garten liefert;
  • sie einen eigenen Brunnen für Wasser haben;
  • sie Teil einer Gemeinschaft sind, in der sich Probleme leichter lösen lassen und auch die Nachhaltigkeit einfacher ist, als wenn Sie alles alleine machen müssten (z. B. ihr Dach sanieren, lokale Lösungen für Probleme finden).
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Das gut gedämmte, renovierte Lehmhaus der Dőrys mit natürlicher Beschattung für den Sommer
Das gut gedämmte, renovierte Lehmhaus der Dőrys mit natürlicher Beschattung für den Sommer

Nachdem sie den richtigen Ort und das richtige Haus gefunden hatten, brauchten die Dőrys sechs Jahre, um all ihre Ideen zu verwirklichen – einschließlich der Isolierung ihres Hauses – und sie gaben alles Geld, das sie von ihrem monatlichen Einkommen als Lehrerin und Dozent entbehren konnten, für alle notwendigen Renovierungen aus.

Die Elektrizität in ihrem Haus stammt von vier bewusst eingesetzten Solarpaneelen, die alle Haushaltsgeräte betreiben und im Winter auch die Wärme des Holzofens zirkulieren lassen. Die Stromrechnung der Familie beträgt 7 % der eines ungarischen Durchschnittshaushalts […], und die Familie ist nur sehr selten vom Stromnetz abhängig. Die Warmwasserbereitung erfolgt im Sommer über den Solarkollektor und im Winter über den Ofen.

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Solarpanele auf dem Haus der Dőrys. Hervorstechend ist die geringe Anzahl von Panelen, die den Suffizienz-basierten Ansatz unterstreicht.
Solarpanele auf dem Haus der Dőrys. Hervorstechend ist die geringe Anzahl von Panelen, die den Suffizienz-basierten Ansatz unterstreicht.

Laut Dr. Dőry können wir fossile Brennstoffe nur dann aus unserem Leben verbannen und unseren Energieverbrauch erfolgreich reduzieren, wenn wir…

  • vor allem eine Suffizienz-Mentalität annehmen;
  • unsere Häuser dämmen;
  • auf eine (effektive) Biomasseheizung umsteigen und die richtige Menge an Biomasse anpflanzen (Energiewald) – nach seiner Ansicht und seinen Berechnungen sind dies 90 % der Lösung, um auf fossile Brennstoffe zu verzichten;
  • Sonnenkollektoren installieren, die die verbleibenden 10 % für den Verzicht auf fossile Brennstoffe liefern.

Mit einer angemessenen Isolierung an jedem Haus (14 cm im Fall der Dőrys) und 2.000 Bäumen pro Person (die etwa 2.000 m2 einnehmen und die derzeitige Waldfläche in wenigen Jahren verdoppeln würden) würden wir die Klimaziele tatsächlich erreichen, [so Dr. Dőry]. „Was wir auch tun können, ist, andere – Familie, Freund*innen, Nachbar*innen – zum Umdenken und Handeln zu motivieren, um ein nachhaltigeres Leben zu führen.“

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Magdolna Kéry und Dr. István Dőry werden als Energy Masters von Edina Vadovics (GreenDependent Institute) im Rahmen der EnergyNeighbourhoods Preisverleihung ausgzeichnet (2018)
Magdolna Kéry und Dr. István Dőry werden als Energy Masters von Edina Vadovics (GreenDependent Institute) im Rahmen der EnergyNeighbourhoods Preisverleihung ausgzeichnet (2018)

Die Dőrys sind schon seit Jahrzehnten engagierte Umweltschützer*innen. „Wir haben unser ganzes Leben darauf ausgerichtet, wir wollen den grünen Ansatz an so viele Menschen wie möglich weitergeben, vor allem an junge Menschen“ sagt Magdolna. […] In einem von ihnen jährlich organisierten Öko-Camp versuchen die Dőrys, Kindern das beizubringen, was wir alle lernen sollten: Dass wir uns auf die fünf Hauptbelastungsbereiche in unserem Leben konzentrieren müssen – Wassermanagement, Landwirtschaft, Energiemanagement, Abfallmanagement, Transport – und in diesen großen Belastungsbereichen so grün wie möglich werden müssen. Schon mehrere Jahre lang sind die Dőrys aktive und erfolgreiche Teilnehmende des E.ON EnergyNeighbourhoods program.

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Verschiedenes eingemachtes Obst und Gemüse
Der Geschmack des Sommers eingemacht für den Winter.

„Ein klimafreundliches Leben ist auf lange Sicht billiger. Wir verbrauchen weniger Energie und Wasser, kaufen hoffentlich weniger ein, fahren nicht mit dem Auto, bauen mehr von unseren eigenen Lebensmitteln an und entdecken energiesparende Gewohnheiten wieder“, sagt Dőry. „Es gibt kein Hindernis, ein ärmeres, einfacheres und rücksichtsvolleres Leben zu führen. […] Ja, es bedeutet, dass wir uns an einige Zwänge anpassen müssen, aber in der heutigen Welt gibt es viel mehr – nur andere – Zwänge, die mit Geld, dem Leben in der Stadt, der Infrastruktur usw. zu tun haben. […] Ein umweltbewusstes und nachhaltiges Leben macht absolut Sinn. Was sonst würde Sinn machen?“

Orsolya Antal und Edina Vadovics, GreenDependent Institute
(Übersetzung von Lilli Möller, WWU)

Was kostet dieser Lifestyle die Dőrys?

  Preis in HUF/EUR (1 EUR = 370 HUF) Anmerkungen
Haus und Grundstück 1,8 Millionen HUF in 2007 (Wert 2022: 2,9 Millionen bei einer Preissteigerung von 61%); 7.500 EUR 2022 Allgemein: Der Preis für Haus und Land nimmt ab, je weiter man sich von großen Städen und beliebten Ferienorten in Ungarn entfernt. Das Haus der Dőrys in Westungarn liegt in einem Dorf von 920 Einwohner*innen.
Umbaukosten pro Person 2 Millionen HUF bzw. 5.400 EUR/person Entspricht dem Geld, das nach dem Kauf des Hauses für Dämmung, Holzofen, Solarpanele, Kontrollsystem und Aufforstung ausgegeben wurde.
Solarschnecke

893 EUR - Fahrzeugpreis

180 EUR - Transport von China nach Koper (Slovenien)

1.060 EUR - Verladekosten, Zoll, Steuern

Insgesamt etwa 3.035 EUR

Teils finanziert von den Ersparnissen der Familie, teils von der Edutus Universität, wo Dr. Dőry lehrt und Studierende in den Bau des Fahrzeugs einband.

Land für den Energiewald 0,4 Millionen HUF (1.080 EUR)

Dies wäre der Preis gewesen, hätte die Gemeindeverwaltung Ihnen das Grunstück nicht zur Aufforstung kostenlos zur Verfügung gestellt.

Monatlicher Lebensunterhalt Annähernd null Vorhanden sind bereits Solarpanele, Brunnen, Holz aus dem Energiewald zum Heizen und Kochen, Solarschnecke für den Transport
Einkommen 300.000 HUF/Monat/3 Personen (800 EUR)

Basierend auf dem durchschnittlichen Nettoeinkommen von Hochschullehrer*innen nach 36-38 Jahren in Ungarn.

Tägliches "Taschengeld" Max. 500 HUF (1,30 EUR) "Je weniger man ausgibt, desto kleiner ist der Fußabdruck", sagen die Dőrys und stimmen mit Forschungsergebnissen wie z.B. dem UNEP Emissions Gap Report 2020 überein.

 

Quellen:

  • https://divany.hu/szuloseg/2017/08/14/dory_interju_a_vilag_osszes_problemajat_erintettuk_-_es_megoldottuk/Sources:
  • Citizen Interview conducted in the H2020 research project EU 1.5 Degree Lifestyles

Bildquellen: Dr. Dőry István, GreenDependent, https://divany.hu